Eine Zusammenfassung aus dem Buch „The Gender Agenda“ von Dale O’Leary
Wenn man heute etwas zum Thema Gender Mainstreaming liest, wird man in zahlreichen Texten darauf hingewiesen, dass „Gender Mainstreaming“ seinen Anfang auf der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking nahm. In der offiziellen Abschlussresolution, der „Pekinger Aktionsplattform“, wurde der Begriff eingeführt. „Mainstreaming a Gender Perspective“ heißt es dort, kurz: Gender Mainstreaming. Von Peking aus gelangte es in die ganze Welt, vor allem in die westlichen Staaten.
In Teil I geht es um den historischen Hintergrund. Was geschah im Vorfeld der Weltfrauenkonferenz? Dale O’Leary belegt, wie die Gender-Perspektive den UN-Delegierten der ärmeren Länder aufgezwungen wurde und wie eine fertige Strategie einer Ideologie den Sieg bescherte – letztlich ein Sieg über Besonnenheit, Respekt vor Kulturen und einer an der Realität orientierten Vernunft.
Still und leise hat sich das Wort Gender in unsere Welt eingeschlichen. Früher sprach man vom Geschlecht [Englisch: „sex“], heute geht es um „gender“. In Antragsformularen wurde früher nach dem Geschlecht gefragt, heute fragt man nach Gender. Früher beklagte man die Diskriminierung der Frau, heute die Diskriminierung aufgrund von Gender. Ist Gender also nur ein anderes Wort für Geschlecht und meint „Mann und Frau“? Längst nicht mehr. Spätestens seit der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 hat Gender weltweit eine neue Bedeutung erhalten. Gender meint „sozial konstruierte und veränderbare (Geschlechter)-Rollen“ – und zwar frei von biologischen Anbindungen. Gender ist Teil einer neuen radikalfeministischen Ideologie, ihr Name ist Gender-Perspektive.
Eines der Ziele der Gender Agenda ist es, fünfzig Prozent aller Arbeitsplätze in allen Berufssparten weltweit mit Frauen zu besetzen, notfalls zwangsweise.
Die Clinton-Administration [1995], Kanada, die EU-Staaten und die UN-Behörden arbeiten intensiv daran, die Gender-Perspektive umzusetzen. Sie soll „in den Mainstream“ gebracht werden. Doch über das, was die Gender-Perspektive will, gibt es keine offene Diskussion. Sie kommt nicht als großes Schiff daher, obwohl sie doch in allen politischen und öffentlichen Programmen verankert werden soll, sondern wie ein U-Boot, das keiner genau kennen soll. Die Strategie der neuen Ideologie heißt: Die Bedeutung von Worten verändern.
Was auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking geschah, ist wichtig. Nicht, weil die Vereinten Nationen ihre Auffassung den USA aufzwingen könnten; die UN kann ihre Auffassung nur armen Ländern aufzwingen, die auf Finanzhilfe angewiesen sind. Aber die UN hat das Ansehen und die Mittel, ihre Agenda weltweit in die Köpfe und Herzen der Menschen zu tragen: in die Politik, Schulen und Medien. Und die Agenda der UN-Behörden heißt Gender-Perspektive. In der „Pekinger Aktionsplattform“, der offiziellen Abschluss-Resolution der Weltfrauenkonferenz, fand sie ihren heutigen Namen: „mainstreaming a gender perspective“ („die Gender-Perspektive in den Mainstream bringen“), im deutschen: Gender Mainstreaming.
Die Befürworter der Gender-Perspektive wollen Gender zum Leitprinzip machen, nach dem die Welt regiert wird. Hinter der Gender-Perspektive steht aber keine Grassroot-Bewegung, die Idee geht vielmehr von einer kleinen Minderheit von Frauen und Männern aus, die bereits in Machtzentren sitzen und ihre Position nutzen, um die Gender Agenda anderen aufzuzwingen. Man sollte besser von einem Gender Establishment sprechen. Die UN ist fest in den Händen des Gender Establishments.
Etwa 70 Prozent der UN-Arbeit geht in die Vorbereitung und Durchführung von Konferenzen. Zu Frauenfragen gab es bisher vier internationale Konferenzen, zuletzt die in Peking. Ziel der Konferenzen ist jeweils eine Resolution – in Peking war es die „Pekinger Aktionsplattform“. Diese haben zwar keinen bindenden Charakter, aber eine moralische Autorität. Sie sollen die „Überzeugung der ganzen Welt“ zu wichtigen Themen bündeln. Seit ihrem Bestehen hat die UN deshalb darauf geachtet, dass Resolutionen nicht mit Mehrheit gegen Minderheit, sondern im Konsens mit allen Mitgliedstaaten verabschiedet werden.
Technisch geschieht das so: Vor jeder Hauptkonferenz gibt es in verschiedenen Ländern Vor-Konferenzen, auf denen das anstehende Thema behandelt wird. Aufgrund der Vorkonferenzen erstellt das UN-Personal einen Resolutionsentwurf. Auf der letzten Vorkonferenz, der „PrepCom“ (Preparatory Committee), die immer in New York stattfindet, wird der aktuelle Resolutionsentwurf noch einmal ausführlich von allen UN-Delegierten diskutiert. Alle Teile des Entwurfs, über die keine Einigkeit erzielt werden kann, müssen in eckige Klammern gesetzt werden. Auf der Hauptkonferenz kann nur noch über die Textstellen in eckigen Klammern diskutiert werden.
Ziel der PrepCom in New York ist es, so viel Einmütigkeit wie möglich zu erzielen. Auf der öffentlichen Hauptkonferenz sollen nur noch Details debattiert werden. Dort will man der Weltöffentlichkeit ein positives Bild zeigen: Wir, die Vereinten Nationen, sind uns einig über die und die Welt-Probleme und wie sie gelöst werden können.
Aufgrund des Konsens-Prinzips war es in der Vergangenheit so, dass eine Resolution erst nach langen Debatten zustande kam. Die Vereinten Nationen waren ja gegründet worden, um auch kleinen und armen Staaten eine Stimme zu geben.
Wenn auch auf der Hauptkonferenz über bestimmte Punkte kein Konsens erzielt werden kann, kann ein Land „Vorbehalt“ anmelden; in der Vergangenheit wurden dann diese Textstellen aus der Resolution gestrichen.
Seit der Weltklimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 wird das Konsens-Prinzip mehr und mehr in Frage gestellt. Die bestimmenden Kräfte in der UN setzen immer häufiger ihre eigenen Ziele durch. So forderte die Vorsitzende der Konferenz in Rio, die norwegische Ministerpräsidentin Gro Haarlem Bruntdland, dass das Konsens-Prinzip fallengelassen werden solle. Die langsameren Länder würden nur den Fortschritt derjenigen behindern, die schneller vorangehen wollten. Frau Bruntdland war damals verärgert, weil in der Abschlussresolution das Recht auf Abtreibung nicht vorkam.
Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking wurde das Prinzip der Einstimmigkeit – zwar nicht offiziell, aber doch in der Realität – eindeutig verlassen. Die Tonangebenden in der UN, d.h. die Vertreter der westlichen Nationen, die UN-Angestellten und die von der UN akkreditierten, einflussreichen NGOs (non-governmental organisations, Nichtregierungsorganisationen) setzten ihre Agenda durch.
Die Nichtregierungs-Organisationen
Um fachliche Beratung zu erhalten, hat die UN seit langem bestimmte „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) akkreditiert. Sie haben einen offiziellen Beraterstatus. Sie sollen Basisbewegungen oder karitative Einrichtungen repräsentieren. Doch die heute akkreditierten NGOs sind machtvolle Organisationen, die ihre eigenen Ziele in der UN durchsetzen können. Ihr Einfluss innerhalb der UN hat erheblich zugenommen; zahlenmäßig übertreffen die Lobbyisten die UN-Angestellten. Während internationaler Konferenzen können sie in extra dafür eingerichteten Foren und Workshops ihre Lobbyarbeit tun. In speziellen Ausschüssen können sie Kritik an Resolutionsentwürfen und Änderungsvorschläge einbringen. Viele der NGOs haben ständige, bezahlte Lobbyisten in New York. Zu nennen sind besonders die Organisationen zur Weltbevölkerungskontrolle (z.B. IPPF) und die Frauenorganisation WEDO, die eng miteinander zusammenarbeiten.
Die Frauenorganisation WEDO (Women’s Environment and Development Organisation) trat zum ersten Mal 1992 auf dem Weltklimagipfel in Rio auf (daher ihr Name). Es gelang ihr dort, den Fokus der Konferenz auf ihr eigenes Thema zu lenken: Mehr Macht den Frauen und das Recht auf Abtreibung. Seitdem schaffte es WEDO, auf jeder Konferenz ihre eigene Agenda einzubringen und aus jeder Frage eine Frauenfrage zu machen. Ohne Übertreibung kann man WEDO als eine „Schatten-UN“ bezeichnen. WEDO veranlasste, dass die UN bestimmte Ausschüsse („Caucus“) gründete, in denen die NGOs ihre Lobbyarbeit direkt ausüben können. Der wichtigste Ausschuss der UN ist der Frauenausschuss („Women’s Caucus“). Er soll die Interessen aller Frauen vertreten; in der Realität ist er fest in den Händen von WEDO. Auch eine Anzahl anderer Ausschüsse wird von WEDO dominiert. Bella Abzug, die Mitgründerin und Leiterin von WEDO [bis 1998], wird von den UN-Angestellten bevorzugt behandelt. So hat sie in der Regel Rederecht auf den UN-Pressekonferenzen. Auf der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo hörte man sie sagen, sie habe die „Pekinger Aktionsplattform“ geschrieben.
Im Dezember 1994 hielt WEDO in Vorbereitung auf die Weltfrauenkonferenz eine eigene Tagung in New York ab. Ziel war es, Lobby-Strategien auszuarbeiten, wie zukünftige UN-Konferenzen stärker durch WEDO beeinflusst und die Politik konservativer Nationen geschickter attackiert werden könnte.
10 Prozent der Teilnehmer waren UN Angestellte! Das allein schon wirft schwerwiegende Loyalitäts-Fragen auf. Die UN-Angestellten sind nicht dazu da, die Ziele der NGOs umzusetzen, sondern den gewählten Delegierten der Mitgliedstaaten bei deren Anliegen hilfreich zur Seite zu stehen. Doch offensichtlich fühlen sich viele UN-Angestellte mehr den Zielen feministisch-ideologischer NGOs verpflichtet als den Interessen der Mitgliedstaaten. Immer wieder bleibt deshalb die Frage im Raum, wem der bürokratische Apparat der UN eigentlich Rechenschaft gibt.
Der Abschlussbericht der WEDO-Konferenz nennt eines der Ziele von WEDO: „Beobachten von und opponieren gegen internationale Anti-Abtreibungs- und andere fundamentalistische Bewegungen…“1
Zu den Teilnehmern der WEDO-Konferenz, die zugleich UN-Angestellte waren, gehörten Gertrude Mongella und Kristen Timothy.
Gertrude Mongella, eine Funktionärin aus Tansania mit langjährigen Kontakten zu WEDO, wurde Generalsekretärin der Pekinger Konferenz. Kurz nach der WEDO-Konferenz trat sie in einem Video auf, in dem den großen Religionen, besonders dem Christentum, eine Anti-Frauen-Haltung vorgeworfen und die Aussage gemacht wird, dass der Platz für Frauen „unter Hitler Kinder, Küche, Kirche“2 war.
Kirsten Timothy war für die Akkreditierung von NGOs in der UN verantwortlich. Unter ihrer Leitung erhielten viele Familien- und Lebensschutzgruppen, auch solche, die an früheren UN-Konferenzen teilgenommen hatten, zunächst keine Akkreditierung für die Konferenz in Peking.
Die Medien konzentrieren sich auf die UN-Hauptkonferenzen. Doch die eigentliche Arbeit wird auf den Vorkonferenzen geleistet. Für die 4. Weltfrauenkonferenz fand die PrepCom in New York im März 1995 statt. Die UN-Delegierten trafen sich für vier Wochen, um den Resolutionsentwurf zu diskutieren.
Bei der Auseinandersetzung um die Gender-Perspektive geht es um einen ideologischen Konflikt. Da ist es wichtig, die Seiten im Konflikt auch mit Namen zu nennen. Auf der einen Seite stehen die Befürworter des Gender Mainstreaming, wir haben schon WEDO, Mongella u.a. genannt. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die ich [Dale O’Leary] als „Familienbefürworter“ bezeichne.
Mit „Familienbefürworter“ meine ich jene Menschen, die sich für den besonderen Schutz der Ehe als einer Mann-Frau-Beziehung und der daraus folgenden Familie einsetzen.
Zwar reden auch die Anhänger der Gender-Perspektive von Familie und sind „für die Familie“, aber sie definieren „Familie“ völlig neu. Sie haben eine Abneigung gegen Worte wie Mutter, Vater und statt von Ehefrau und Ehemann sprechen sie von Partnern. Über die traditionelle Ehe und Familie und über Vollzeit-Mutterschaft haben sie hauptsächlich Negatives zu sagen.
Die Familienbefürworter verbindet am ehesten folgende Definition von Ehe und Familie:
„Die ’Familie’ kann zu allen Zeiten und überall so definiert werden: Ein Mann und eine Frau, durch einen gesellschaftlich anerkannten Bund der Ehe miteinander verbunden, wodurch Sexualität reguliert wird, worin Kinder geboren, aufgezogen und geschützt werden, beide Partner füreinander sorgen und einander schützen; die Ehe führt zur Institution einer kleinen häuslichen Ökonomie und hält die Kontinuität zwischen den vorangegangenen und nachfolgenden Generationen aufrecht. Aus diesen auf Gegenseitigkeit beruhenden, natürlich entstehenden Familienbeziehungen erwachsen größere Gemeinschaften wie Stämme, Dörfer, Völker und Nationen.“3
Viele UN-Delegierte aus den ärmeren Ländern waren Familienbefürworter.
Neben den einflussreichen Lobbygruppen wie WEDO oder IPPF4 gab es auch verschiedene Vertreter akkreditierter NGOs, die sich für den Schutz von Ehe und Familie einsetzen. Sie zählen ebenfalls zu den Familienbefürwortern. Viele von ihnen hatten sich bereits auf der Weltbevölkerungstagung in Kairo 1994 kennengelernt. Auf der PrepCom in New York taten sie sich zusammen und operierten gemeinsam unter dem Namen „Koalition für Frauen und die Familie“ (Coalition for Women and the Family), im folgenden „Familienkoalition“ genannt. Ihre Lobbyarbeit organisierten sie von den Fluren aus, hinter denen die Delegierten konferierten. Auf aktuelle Debatten reagierten sie mit kleinen, schnell hergestellten, bunten Flyern, in denen sie ihre Standpunkte vertraten und den Delegierten alternative Vorschläge für anstehende Resolutionsabschnitte machten.
Die Taktik mit den bunten Flyern war so erfolgreich, dass die UN-Angestellten immer neue Regeln erfanden, um die Verbreitung der Flyer einzuschränken oder in anderer Weise die Aktivitäten der Familienkoalition zu beschränken.
WEDO beschwerte sich offen über die Familienkoalition. Diese seien „Fundamentalisten“, die die PrepCom sabotieren wollten. Sie wollten die Frauen zu Hause halten und hätten das Ziel, dass die Frauen den Männern untertan sein sollten. Das waren absurde Vorwürfe, denn die Frauen der Familienkoalition waren ja da, mitten auf der Tagung. Sie arbeiteten gemeinsam mit den Männern als gleichberechtigte Partner – ohne Machtkampf, ohne Quoten und ohne Dominanz oder Unterordnung. Diese Frauen waren lebendige Beispiele dafür, dass die Familienbefürworter sich für Gleichberechtigung, Chancengleichheit und für die aktive Teilnahme von Frauen in Öffentlichkeit und Politik einsetzen.
Während die Mitglieder der Familienkoalition häufig keine Erlaubnis erhielten, bei den offiziellen Sitzungen im Saal dabei zu sein, saß die Präsidentin von WEDO immer am Platz einer fehlenden Delegierten. Sie wurde bevorzugt und beklagte sich dennoch ständig, dass WEDO nicht genügend Einfluss hätte.
Eine von NGOs auf der PrepCom veranstaltete Podiumsdiskussion hatte den Titel „Gegen-Attacke: Frauen wehrt euch gegen Fundamentalismus“. Wieder nahmen an dem Treffen viele UN-Angestellte teil. Sprecher der Podiumsdiskussion bezeichneten nicht nur jeden religiösen Menschen als „Fundamentalisten“, sondern vor allem jeden, der von der Komplementarität von Mann und Frau überzeugt ist, und ebenso jeden, der Mutterschaft als eine besondere Berufung der Frau unterstützt.
Im Mittelpunkt der Diskussion stand eines der zentralen Ziele der Gender Agenda, nämlich wie man statistische Gleichheit zwischen Frau und Mann, d.h. letztlich ihre Auswechselbarkeit, möglichst bald herstellen könne. Konkret ging es um die Forderung nach der Quotenregelung von 50 Prozent Frauen / 50 Prozent Männer für alle öffentlichen und privaten Arbeitsstellen.
Einige Familien-Organisationen hatten unerklärlicherweise keine Akkreditierung für die PrepCom in New York erhalten. Die UN gab dazu ein Statement heraus: Da so viele Organisationen eine Akkreditierung beantragt hätten, könnten nur diejenigen berücksichtigt werden, deren Arbeit für die Themen der Weltfrauenkonferenz relevant sei. Merkwürdigerweise erhielten drei der größten und wichtigsten Organisationen (Concerned Women for America, Eagle Forum, Catholic Campaign) keine Akkreditierung. Einer winzigen Organisation ohne Mitglieder dagegen, der „Catholics for a Free Choice“ (CFFC), wurde die Akkreditierung gewährt. Die Leiterin von CFFC, Frances Kissling, verteilte auf der PrepCom ein Papier, deren Mitautorin sie war. Darin wurde eine „feministische Anthropologie“, basierend „auf einer radikalen Gleichheit von Frauen und Männern“ gefordert und eine Gesellschaft, in der „die Community, nicht die Familie der programmatische Fokus“ sein müsse. Die Co-Autorin des Papiers, Mary Hunt, war bekannt geworden durch einen Text, in dem vorgeschlagen wird, das Wort „Familie“ durch „Freundschaft“ zu ersetzen:
„Stellen Sie sich vor, Sex unter Freunden wäre die Norm. Stellen Sie sich vor, genitale Interaktionen würden danach beurteilt, ob und inwieweit sie Freundschaft und Vergnügen fördern. (...) Vergnügen ist unser Geburtsrecht, dessen uns ein religiöses Patriarchat beraubt hat. (...) In meiner Vorstellung sehe ich Freunde, keine Familien, die in vollen Zügen das Vergnügen genießen, das uns zusteht, weil unsere Körper heilig sind.“5
Solche Texte sind keine Einzelbeispiele. Sie geben nur ungeschminkt wider, was die Gender-Perspektive im Kern besagt: Die Mann-Frau-Ehe und die daraus folgende Familie seien Ursprung und Urtypus aller Unterdrückung der Frau. Befreiung könne es nur geben, wenn die Frau von der Last der Familie und der Kinderpflege befreit sei. Und Befreiung setze zudem voraus, dass Frau und Mann von der Last der Komplementarität, d.h. der Last der „Zwangsheterosexualität“, ja letztlich von allen Schranken bezüglich sexueller Verhaltensweisen befreit seien. [Siehe hierzu Teil II, Anm. d. Hg.]
Es gab auf der Tagung auch Diskussionen über den Begriff der Würde. Die Familienbefürworter waren perplex über den Widerspruch, den es von feministischer Seite aus gegen diesen Begriff gab, der doch in der UNO-Menschenrechtserklärung steht. Offensichtlich fürchteten – aus einem übertriebenen Dogmatismus heraus – die Gender Feministen eine Interpretation des Wortes dahingehend, dass es auf eine übergeordnete Macht verweisen könnte, die dem Menschen seine Würde verleiht. So widersetzten sie sich jeglicher Bezugnahme auf die Würde von Frauen.
Zunächst sah es so aus, als ob der Resolutionstext für die „Pekinger Aktionsplattform“ vor allem sich wiederholende Allgemeinplätze und artige, harmlos erscheinende Richtigkeiten enthalte.
Den Familienbefürwortern machte jedoch Sorge, was fehlte: An keiner Stelle ging der Entwurf auf die legitimen Bedürfnisse von Frauen ein, die zuhause in der Familie arbeiteten. Der Entwurf enthielt kein einziges positives Statement zur Ehe, zum Familienleben, zur Mutterschaft, zu Elternrechten oder zur Religion. (Im endgültigen Resolutionstext wurde das auf Druck der USA geringfügig geändert.)
Die Übersetzungen ins Spanische und Französische verschleierten die Anti-Familiensprache des Originaltextes und erschwerten somit die internationale Zusammenarbeit der Familienbefürworter. Doch nach Verabschiedung des endgültigen Resolutionstexts würde nur noch der englische Text gelten.
Einigen Delegierten war der ideologische Inhalt bestimmter englischer Begriffe nicht bekannt und auch nicht immer in den Wörterbüchern zu finden. So meinte eine Exil-Tibetanerin, bei dem Begriff „reproduktive Rechte“ (reproductive rights) ginge es um das Recht auf Kinder; sie wusste nicht, dass damit das Recht auf „medizinisch sichere“, d.h. legale Abtreibung gemeint ist.
Anfangs konzentrierten sich die Vertreter der Familienkoalition auf die Textpassagen zu den „sexuellen Rechten“ (u.a. das Recht auf Prostitution) und den „reproduktiven Rechten“ (u.a. das Recht auf Abtreibung). Diese „Rechte“ sollen laut Resolutionstext jedem Einzelnen zustehen.
Selbst die international renommierte medizinische Zeitschrift „The Lancet“ kritisierte den Resolutionstext in diesem Punkt scharf. Sie schrieb, die Agenda der UN sei fast identisch mit der Agenda der IPPF (International Planned Parenthood Federation), deren einziges Ziel es sei, das Recht der Frau auf Kontrolle der Reproduktion, insbesondere das Recht auf Abtreibung, festzuschreiben. Die „Pekinger Aktionsplattform“, so Lancet, sähe alles nur durch die außerordentlich kurzsichtige Brille der „Fertilitätskontrolle“: „Der neue Kolonialismus… ist eine gefährliche Strategie. Er stellt westliche Utopien vor lokalen Pragmatismus.“6
Doch bald wurde klar: Das zentrale Wort des Resolutionstexts war Gender. In fast jedem Abschnitt kam der Begriff vor: Gender-Perspektive, Gender Analyse, Gender Sensitivitätstraining, Gender Aspekte, Gender Fragen usw. In einem Text für eine Weltfrauenkonferenz kam Gender mehr als 200 Mal, das Wort Mutter seltener als zehn Mal vor.
Hier wurde die Sprachverwirrung perfekt, denn kaum jemand wusste anfangs genau, was mit Gender gemeint war.
Delegierte aus der Dritten Welt schlugen wieder in den Wörterbüchern nach. Dort fanden sie unter „gender“ nur die beiden klassischen Definitionen: 1. grammatikalisches Geschlecht, männlich, weiblich, sächlich; 2. ein anderes Wort für „zwei Geschlechter [sex]“, gleichbedeutend mit „Mann und Frau“.
Die Familienbefürworter waren der Auffassung, dass Gender zwar „soziales Geschlecht“ bedeute, dass dieser Begriff jedoch eine klare und feste Anbindung an den Begriff „biologisches Geschlecht („sex“) haben müsse. Gender als „soziales Geschlecht“ sei zwar nicht identisch mit dem „biologischen Geschlecht“ („sex“), denn Gender sei das Ergebnis von Biologie und Kultur, jedoch gäbe es eine große Überlappung zwischen beiden Begriffen, sie seien nicht voneinander abzukoppeln.
Genau diese Abkopplung ist aber der theoretische Ansatz der Gender-Perspektive.
In den 1970er und 80er Jahren hatten radikalfeministische Theoretiker (Frauen und Männer) dem Gender-Begriff eine neue Bedeutung gegeben. Danach hat Gender keine Anbindung mehr an das biologische Geschlecht („sex“), sondern ist frei von biologischen Vorgaben, nur „sozial konstruiert“. Gender ist deshalb jederzeit frei wählbar und veränderbar. Jede „Zuordnung“ zu einem „Geschlecht“ ist sinnlos, denn das Wort „Geschlecht“ selbst ist bedeutungslos geworden. Es zählen nicht mehr Mann und Frau in ihrer biologischen und sozialen Gestalt als die beiden aufeinanderzugeordneten Geschlechter; es zählen nur noch zahlreiche, frei wählbare Gender.
Die Delegierten der Dritten Welt wollten sich allerdings nicht damit abfinden, dass im Resolutionstext das Wort Gender schon so ideologisch besetzt, so eindeutig nur in der neuen Bedeutung festgelegt war. Sie kämpften darum, dass die Tagungsleitung eine klare Definition von Gender vorlegen würde, der alle Delegierten zustimmen könnten.
Sie alle setzten sich für mehr Autonomie für die Frau und für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein. Den Gedanken allerdings, Männer und Frauen seien „gleich“ und müssten deshalb in statistisch gleicher Weise in allen Berufs- und Lebensbereichen vorkommen und die offensichtlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen seien nur gesellschaftlich „konstruiert“, fanden sie absurd. Sie waren auch nicht zur Tagung gekommen, um Belehrungen in feministischer Erkenntnistheorie zu erhalten. Sie wollten konkrete Hilfe für konkrete Probleme von Frauen.
Die Familienbefürworter bestanden darauf, dass die Definition von Gender die Begriffe „zwei Geschlechter [two sexes], Mann und Frau“ umfassen müsse.
Die EU und Kanada, die UN-Angestellten und die einflussreichen NGOs wie WEDO wollten eine Definition, die Gender als „sozial konstruierte Rollen“ definierte, wie es z.B. auch in einer (noch 1995 herausgegebenen) UN-Broschüre heißt: „Das biologische Geschlecht ist von Natur aus gegeben. Gender ist konstruiert.“7
Ein Reporter schrieb treffend: Die Debatte über das Wort Gender ist „ein Beispiel aus dem Lehrbuch zum Thema globaler Feminismus und feministische Epistemologie“. Sie „wirft zentrale Fragen über das Verhältnis von Sprache, Wissen und Macht auf …“8
Marta Casco, Leiterin der honduranischen Delegation und eine der engagiertesten Familienbefürworterinnen, warf dem UN-Apparat vor, eine „versteckte Agenda“ zu haben und „manipulierte Euphemismen“ zu benutzen, „um einen Text zu erstellen, für den nur sie [die UN-Angestellten] das richtige Wörterbuch hätten“.9
Einige Delegierte schlugen vor, das Wort Gender im Text solange in eckige Klammern zu setzen, bis man zu einer einvernehmlichen Definition gekommen sei.
Die Reaktion darauf war so unerwartet heftig und aggressiv, dass einige Delegierte jetzt sehr hellhörig wurden. Offensichtlich hatten sie es hier doch mit einer ideologischen Front zu tun, die um keinen Preis eine echte Hinterfragung des Gender-Begriffs zulassen würde.
Die Präsidentin von WEDO, Bella Anzug, erhielt die Spezialerlaubnis zu einer Rede vor den Delegierten. Sie verurteilte scharf jeden Versuch, Gender in eckige Klammern zu setzen: „Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass man uns in die Ecke ’Biologie ist Schicksal’ zurückdrängt und Frauen definieren, einschränken und auf ihre körperlichen Geschlechtsmerkmale reduzieren will.“
Die Delegierten waren verletzt. Niemand wollte Frauen „auf ihre körperlichen Geschlechtsmerkmale reduzieren“. Sie wollten nur eine Definition von Gender, der sie alle zustimmen könnten.
Bella Abzug bestand darauf, dass die „feministische“ Definition von Gender, d.h. die Gender-Perspektive, nicht verhandelbar sei: „Das Konzept von Gender ist in den zeitgenössischen gesellschaftlichen, politischen und gesetzlichen Diskurs eingebettet.( ...) Die Bedeutung des Wortes ’Gender’ hat sich zu einem vom Wort ’Geschlecht’ verschiedenen Begriff entwickelt; es drückt die Realität aus, dass Rolle und Status von Frauen und Männern gesellschaftlich konstruiert sind und der Veränderung unterliegen. (…) Das Einfließen der Gender-Perspektive in alle Tätigkeitsbereiche der UN ist eine wesentliche Verpflichtung, die in früheren Konferenzen genehmigt wurde und auf der Vierten Weltfrauenkonferenz erneut bestätigt und gestärkt werden muss.“
Delegierte, die an früheren UN-Konferenzen teilgenommen hatten, durchkämmten ihre UN-Dokumente. Doch fanden sie keinen Nachweis dafür, dass sie je einmal die Gender-Perspektive genehmigt hätten.
„Der gegenwärtige Versuch einiger Mitgliedsstaaten, das Wort Gender aus der Aktionsplattform zu streichen und durch das Wort ’Geschlecht’ zu ersetzen, ist ein beleidigender und erniedrigender Versuch, die von Frauen gemachten Fortschritte rückgängig zu machen, uns einzuschüchtern und den weiteren Fortschritt zu blockieren. Wir fordern die wenigen männlichen und weiblichen Delegierten, die vom Empowerment der Frauen ablenken und es sabotieren wollen, auf, ihrer Ablenkungstaktik ein Ende zu machen. Es wird ihnen nicht gelingen. Sie vergeuden nur kostbare Zeit. Wir kehren nicht zu untergeordneten, minderwertigen Rollen zurück.“10
Die Delegierten waren schockiert und letztlich sprachlos ob der Vorwürfe.
Viele Vertreter der Familienkoalition waren verwirrt. War Gender wirklich schon so ideologisch besetzt? Konnte es nicht auch ein gutes, brauchbares Wort sein?
Zufällig kamen einige von ihnen noch während der Tagung in Berührung mit einem Gender-Kurs, der an einem College angeboten wurde. Das Material des Kurses zeigte ihnen, wie ausgefeilt die Gender-Theorien und wie besetzt der Gender-Begriff schon waren.
Folgende Auszüge und Zitate aus dem Kursmaterial waren – unter anderen – Augenöffner für die Vertreter der Familienkoalition:11
a) Ist Gender eine soziale Konstruktion oder das Ergebnis eines biologischen Geschlechts? Worum geht es bei der Überschreitung der binären Kategorien Frau/Mann, weiblich/männlich, heterosexuell/homosexuell, natürlich/nicht natürlich?
b) „Heterosexualität und Mutterschaft müssen als politische Institution erkannt und erforscht werden. (…) In einer Welt genuiner Gleichheit, in der Männer keine Unterdrücker sind, sondern fürsorglich, ist jeder bisexuell.“12
c) „Jeder Säugling wird anhand seiner Genitalien der einen oder anderen Kategorie zugeordnet. Nach dieser Zuordnung werden wir zu dem, von dem die Kultur annimmt, was wir seien – weiblich oder männlich. Obwohl viele meinen, dass Männer und Frauen der natürliche Ausdruck eines genetischen Plans seien, ist Gender doch ein Produkt des menschlichen Denkens und der Kultur, eine gesellschaftliche Konstruktion, welche die ’wahre Natur’ aller Einzelwesen erst hervorbringt.“13
d) „Gender Fluidität ist die Fähigkeit, frei und bewusst ein Gender oder eine grenzenlose Anzahl von Gendern für sich zu wählen, für einen beliebigen Zeitraum, in jedem Ausmaß der Wandlung. Die Fluidität von Gender erkennt weder Grenzen noch Regeln an.“14
e) Ein Aufsatz der bekannten Autorin und lesbisch lebenden Professorin für Biologie und Gender Studies, Anne Fausto-Sterling, lautete: „Die fünf Geschlechter: Warum Mann und Frau nicht genügt.“ Die Tatsache, dass einige Menschen mit Anomalien der Genitalien geboren werden, ist für die Autorin kein Beweis für die Krankheit; vielmehr benutzt sie diese dazu, die normative Existenz von nur zwei Geschlechtern radikal in Frage zu stellen: „Warum sollte es uns kümmern, dass es Menschen gibt, deren biologische Anlagen es ihnen ermöglichen, Geschlechtsverkehr ’natürlicherweise’ mit Männern und Frauen haben zu können? Die Antworten scheinen in dem kulturellen Bedürfnis zu liegen, klare Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern aufrechtzuerhalten. (...) Da Hermaphroditen buchstäblich beide Geschlechter verkörpern, stellen sie traditionelle Überzeugungen über geschlechtliche Unterschiede in Frage. Hermaphroditen haben die irritierende Fähigkeit, zuweilen als das eine und zuweilen als das andere Geschlecht leben zu können, sie bringen das Schreckgespenst der Homosexualität ins Spiel.“15
Die Familienkoalition musste sich eingestehen, dass zahlreiche Passagen im Resolutionsentwurf, die sie bisher als harmlos eingeschätzt hatte, in Wirklichkeit ideologischen Sprengstoff bargen.
Die Familienkoalition erarbeitete einen Flyer, in dem es heißt:
„Was ist die Gender-Perspektive? Für einige Delegierte ist es ein unbekannter Begriff. Er bedeutet nicht ’Verpflichtung für die Rechte der Frau’ und auch nicht, dass man sich gegen die ’Diskriminierung von Frau oder Mann’ einsetzt. Die Gender-Perspektive besagt, dass alles ein Machtkampf zwischen Männern und Frauen ist. Jedwede Probleme werden unter der Perspektive analysiert, inwieweit der Unterschied zwischen Mann und Frau Ursache eines Problems ist.
Zugegeben, die Probleme sind real und schwerwiegend. Einzelne Männer haben sich oft großer Ungerechtigkeit gegenüber Frauen schuldig gemacht. Aber die Gender-Perspektive sieht alle Männer als schuldig an, als die, die von Machtungleichheiten profitieren. Statistische Unterschiede zwischen Frauen und Männern werden als Beweis einer männlichen Verschwörung gegen die Frau angesehen. Alles Leiden der Frauen ist irgendwie die Schuld der Männer. Nehmt die Anti-Männer Sprache [aus dem Resolutionstext] heraus! Was wir brauchen, ist eine echte Frauen-Perspektive.“16
Marta Casco stellte einen formellen Antrag an die tagungsverantwortlichen UN-Vertreter, eine klare Definition von Gender vorzuschlagen. Man antwortete ihr, dass Gender „keine Definition hat und auch keine braucht“17. Schon allein dadurch, dass sie die Frage aufwerfe, versuche sie, die Sache der Frau zu unterwandern und die Konferenz zu sabotieren.
Die Vorsitzende der Konferenz, die Österreicherin Irene Freudenschuss weigerte sich strikt, Gender in eckige Klammern zu setzen. Das hatte es noch nie gegeben.
Marta Casco war der Auffassung: „Im Bestreben, ihre legitimen Rechte und Chancengleichheit zu verwirklichen, sollte die Frau ihre eigene Natur weder verleugnen noch aufgeben. (...) Die Schaffung einer Welt individualistischer und egoistischer Frauen, die die alltägliche Familienwirklichkeit nur am Rand miterleben, wird nicht dazu beitragen, die Gewalt zu beenden, Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten zu beseitigen oder die Armut abzubauen – ganz im Gegenteil.“18
Die USA wandten sich ausdrücklich gegen eine Definition von Gender, die den Ausdruck „zwei Geschlechter“ (two sexes) enthielt. Das löste zahlreiche Spekulationen aus. Glaubten auch die Vertreter der Clinton-Regierung, es gebe mehr als zwei Geschlechter, also weitere Gender? Viele gewannen den Eindruck, die „Pekinger Aktionsplattform“ spreche sich für fünf Geschlechter aus: Männer, Frauen, homosexuell lebende Männer, lesbisch lebende Frauen sowie bisexuell oder transsexuell lebende Menschen. War der Begriff Gender im Text also doch ein indirekter Weg zur Normalisierung homosexueller Lebensweisen? Dafür wollten sich die Vertreter der Dritten Welt auf keinen Fall instrumentalisieren lassen. Doch ihr Kampf um Klarheit war vergeblich.
Zuletzt wurde die Tagung verlängert. Die Delegierten der ärmeren Länder – sie waren es vor allem, die sich für Ehe und Familie einsetzten – mussten abreisen, weil ihre Flüge gebucht waren. Eine Neubuchung konnten sie sich nicht leisten. Sie sahen die Verlängerung als einen Schachzug der UN und der reichen Nationen, der diesen mehr Macht und Einfluss über den endgültigen Resolutionstext geben würde.
Auch nach der Verlängerung gab es keine gemeinsame Definition von Gender. Es wurde deshalb eine „Kontaktgruppe“ gebildet, die sich für weitere vier Wochen (Mai-Juni 1995) erneut treffen sollte.
Ein Reporter bemerkte: „Einige der am stärksten engagierten Diskussionsteilnehmer sind nun in der Kontaktgruppe vertraten. Diese soll zu einem einvernehmlichen Verständnis des Begriffs Gender gelangen. Und wie eine leitende Vertreterin der US-Delegation meinte, so wird es wohl kommen: Dem Text wird ein gewisses Maß an ’positiv klingender Schwammigkeit’ hinzugefügt.“19
Genauso kam es. Im Rückblick ist zu sagen, dass mit dem Ende der PrepCom der Einfluss der NGO-Vertreter, die sich unter dem Namen „Familienkoalition“ zusammengeschlossen hatten, schwand. Hinter den Kulissen begann jetzt ein Tauziehen, in dem Geld und Einfluss benutzt wurden, um den Sieg der Gender Agenda sicherzustellen. Dagegen waren die bunten Flyer und Informationen der Familienkoalition machtlos. Die einflussreichen Vertreter der Gender-Perspektive, d.h. die UN, USA, Kanada, die EU und die entsprechenden NGOs benutzten die Zeit, um Druck auf ärmere Länder auszuüben. Die Gender Aktivisten wollten um jeden Preis verhindern, dass die UN-Delegierten eine Definition von Gender durchsetzten, die die Begriffe „zwei Geschlechter [two sexes], Mann und Frau“ enthielt.
Die Vertreterin einer afrikanischen Regierung meinte, niemals zuvor sei so viel Druck auf sie ausgeübt worden wie in dieser Sache. Und Länder, die auf Finanzhilfe angewiesen seien, könnten es sich einfach nicht leisten, ihre potentiellen Kreditgeber zu verprellen.
Nur eines konnten die UN-Delegierten erreichen: dass nicht auch noch der Begriff „sexuelle Orientierung“ im Resolutionstext erschien.
In Bezug auf Gender setzte sich ein fauler Kompromiss durch. Man „einigte“ sich in der Kontaktgruppe auf folgenden Satz: Gender ist definiert, „wie man es üblicherweise bisher gebraucht und verstanden hat.“ Wie man es aber bisher gebraucht und verstanden hatte, wurde nicht gesagt. Die Feministen, die immer wieder betonten, der neuen Bedeutung von Gender habe man schon lange zugestimmt, waren zufrieden. Die Delegierten aus der Dritten Welt mussten auch zufrieden sein, denn nirgendwo war definiert und festgelegt, dass Gender „sozial konstruierte und frei veränderbare Rollen“ meinte.
Dennoch war diese „Nicht-Definition“ der historische Ausgangspunkt dafür, dass die UN die Ideologie der Gender-Perspektive in die ganze Welt und in den „Mainstream“ der westlichen Staaten bringen konnte.
Sind Männer und Frauen verschieden?
In der „Pekinger Aktionsplattform“ ist festgelegt: „Die Grenzen der geschlechtlichen Arbeitsteilung zwischen den produktiven und den reproduktiven Aufgaben werden allmählich gegenseitig überschritten und zwar in dem Maß, in dem Frauen in früher von Männern dominierte Arbeitsbereiche vordringen und Männer größere Verantwortung für häusliche Aufgaben, auch für die Kinderbetreuung, übernehmen. (…) In vielen Ländern wird noch immer nicht anerkannt, dass die Unterschiede zwischen den Leistungen und Tätigkeiten von Frauen und Männern nicht so sehr auf unabänderliche biologische Unterschiede, sondern auf gesellschaftlich determinierte Geschlechterrollen zurückzuführen sind.“20
Der letzte Satz ist ein Kernsatz der Gender Agenda. Aus ihm wird die Forderung nach der statistischen Gleichheit von 50/50 (Frauen /Männer) in allen Berufs- und Lebensbereichen abgeleitet. Im Grunde ist er eine Kampfansage an die Wirklichkeit. Viele, wenn auch nicht alle Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind biologisch (mit-)bedingt. Männer laufen schneller, sind körperlich stärker, sind körperlich aggressiver, werden nicht schwanger und stillen nicht. Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren Hormonen, in ihrer Leiblichkeit, in ihrem Denken.
Die Position der Familienbefürworter
Familienbefürworter lehnen die Vorstellung ab, dass alle Unterschiede zwischen Männern und Frauen sozial konstruiert seien. Sie lehnen aber auch das Gegenteil davon ab. Sie behaupten nicht, dass alle Unterschiede biologisch bedingt sind. Viele Faktoren spielen eine Rolle und wirken zusammen: Biologie, Kultur, Gesellschaft, individuelle Erfahrungen und Überzeugungen, freie Entscheidungen.
Sicher, die Gesellschaft vermittelt Erwartungen an Mädchen und Jungen. Doch können diese deshalb nicht einfach künstlich genannt werden. Kleine Mädchen wachsen auf und können schwanger werden. Kleine Jungen wachsen auf und werden körperlich stärker als Mädchen.
Alle Gesellschaften haben die Arbeiten für die Familie zwischen Männern und Frauen aufgeteilt. Frauen hatten eine Arbeit, die es ihnen erlaubte, den Kindern nah zu bleiben. Männer hatten eine Arbeit, die eine weitere Entfernung von der Familie verlangte. Nicht alle Männer und Frauen werden Mütter und Väter. Aber eine Mehrheit wird es, und sie sollte auch darauf vorbereitet sein.
Jungen Menschen beizubringen, dass Mann und Frau gleich sind oder dass Mutterschaft dasselbe ist wie Vaterschaft, ist eine Lüge.
Integrale Komplementarität
Die Familienbefürworter vertreten eine Position, die man am besten mit dem Begriff „integrale Komplementarität“ (integral complementarity) beschreiben kann. Mann und Frau sind einander völlig gleich in ihrem Menschsein, ihrer Würde, ihren Rechten; aber sie sind unterschiedlich und komplementär in ihrem Wesen. Jeden geschlechtlichen Chauvinismus, männlichen oder weiblichen, lehnen sie ab. Kein Geschlecht ist das Bessere. Die Sichtweise der integralen Komplementarität lehnt die Vorstellung ab, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau irrelevant seien oder überwunden werden müssten. Sie lehnen aber auch jene Vorstellung von Komplementarität ab, wonach Eigenschaften in stereotyper Weise auf Männer und Frauen aufgeteilt werden.
Integrale Komplementarität besagt auch, dass jeder Einzelne, Frau oder Mann, eine vollständige Person ist. Doch gleichzeitig sind Frau und Mann in einmaliger Weise aufeinander verwiesen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind vielleicht vergleichbar mit dem Abstand zwischen den Augen: Erst Frau und Mann gemeinsam (keineswegs nur in der Ehe) geben – wie die beiden Augen gemeinsam – der Menschheit die notwendige Tiefenwahrnehmung und Tiefenschärfe.
Die Position der Familienbefürworter ist nicht eine rigide Verteidigung von Vergangenem, sondern der besonnene Versuch, dasjenige, das Frauen künstlich einengt, abzulegen und gleichzeitig das Recht der Frau, anders zu sein und sein zu dürfen als der Mann, zu schützen. Die Familienbefürworter waren bereit, offen darüber zu debattieren, was künstlich sei und was nicht, aber die Feministinnen verweigerten jede Diskussion. Für Gender Feministen ist „verschieden“ dasselbe wie „ungleich“ und „ungleich“ dasselbe wie „ungerecht“.
Was auch immer es für wirkliche Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen in der Vergangenheit gegeben hat: Man wird nicht Gerechtigkeit dadurch schaffen, dass man die Originalität der Frau und die Einzigartigkeit der weiblichen Natur leugnet. Die Unterschiede zwischen Frau und Mann leugnen oder gar abschaffen zu wollen, ist letztlich ein Krieg gegen die menschliche Natur, die weibliche ebenso wie die männliche.
Eine alternative Plattform
Noch vor der Konferenz in Peking trafen sich die Vertreter der Familienkoalition und erarbeiteten einen alternativen Resolutionsentwurf: „Plattform für die Frauen der Welt“. Er enthielt einfache, konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Frau im Hinblick auf materiellen Wohlstand, Ausbildung, Gesundheit, Frieden, Entwicklung, Arbeit, Medien, Mädchen und Menschenrechte. Viele waren der Auffassung, dass dieser Text auf 30 Seiten die wirklichen Sehnsüchte, Wünsche, Ambitionen und Ziele der großen Mehrheit der Frauen in der Welt besser widerspiegelte als es die „Pekinger Aktionsplattform“ auf 150 Seiten tat.
Während die „Pekinger Aktionsplattform“ die Ehe ausschließlich in negativem Zusammenhang erwähnt und die Wörter Ehefrau und Ehemann erst gar nicht vorkommen, erinnert die alternative Plattform daran, dass die Allgemeine Menschenrechtserklärung der UNO das Recht aller Frauen und Männer „zu heiraten und eine Familie zu gründen“ unterstützt.
Subsidiarität und Solidarität
Nach Ansicht der alternativen Plattform ist das Prinzip der Subsidiarität am besten geeignet, der mangelnden Kontrolle von Frauen über ihr eigenes Leben entgegenzutreten. Subsidiarität bedeutet, dass größere Gruppen in einer Gesellschaft nicht die Funktionen an sich reißen dürfen, die von kleineren Gruppeneinheiten gehandhabt und kontrolliert werden können. Insbesondere sollte „die Familie (...) die Freiheit haben, ihre eigenen Angelegenheiten selbst handhaben und kontrollieren zu können“.
Die alternative Plattform bemerkt: Wenn sich Macht in den Händen einiger weniger Personen konzentriert, dann sind diese Personen eher Männer als Frauen und Frauen werden tatsächlich stärker unter dem Verlust an Macht und Einfluss leiden. Doch ist es kein Ausgleich für diese Frauen, einfach die Anzahl der Frauen in den hohen Regierungsämtern zu erhöhen. Dadurch wird den Frauen an der Basis noch überhaupt kein Einfluss zurückgegeben, denn Frauen möchten selbst über das entscheiden, was sie betrifft. Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ist deshalb eine gute Möglichkeit, „Macht und Einfluss von Frauen auf natürliche Weise auszuweiten“.
Die alternative Plattform befürwortet zudem das Prinzip der Solidarität. Es ist ein konstruktives Gegenprogramm zu dem von der Gender Agenda vorangetriebenen Klassenkampf. Solidarität verlangt von Männern und Frauen aller Klassen, Rassen und Gruppierungen, dass sie zusammenarbeiten, dass jeder die Bedürfnisse und Interessen auch des anderen in Blick hat.
Die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking
Etwa 30.000 Menschen nahmen an der Hauptkonferenz teil.
Der „Linkage Caucus“ – ein ebenfalls von WEDO kontrollierter Ausschuss – schlug eine Liste von Änderungen für den Resolutionstext vor, wonach sämtlich auch nur annähernd Familien-positiven Stellen entfallen wären.
Von Anfang an stand auch das Thema „Definition von Gender“ wieder auf der Tagesordnung. Die Familienbefürworter unter den Delegierten einigten sich dann aber, dass die Nicht-Definition, die in der Kontaktgruppe zustande gekommen war, besser war als eine neue Definition, von der sie befürchteten, dass sie sie auf keinen Fall würden mittragen können.
Die meisten Delegierten der Dritten Welt hielten die Gender Agenda für völlig irrelevant für ihr Land. Für sie waren Männer und Frauen verschieden, Mutterschaft und Familie waren wichtig. Doch waren sie bereit, den „europäischen Unsinn“ zu tolerieren, weil sie hofften, dass die reichen Geberstaaten ihnen finanziell helfen würden. In der Mitte der Konferenz wurde klar, dass es diesmal keine Gelder geben würde. Im Gegenteil: Es wurde erwartet, dass die armen Länder die Gender Agenda auf eigene Kosten umsetzten. Eine afrikanische Delegierte rief: „Wenn es kein Geld gibt, wozu sind wir dann hier?“
„Wir stimmen nicht überein“
Die Familienkoalition verteilte einen letzten Flyer „Wir stimmen nicht überein“:
„Die ’Pekinger Aktionsplattform’ ist ein direkter Angriff auf die Werte, Kulturen, Traditionen und religiösen Überzeugungen der großen Mehrheit der Weltbevölkerung sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industrienationen. Zwar steht in der Plattform vieles, das für den sozialen Aufstieg der Frau förderlich und notwendig ist, dennoch überschatten die negativen Aspekte die positiven. Das Dokument zeigt keinerlei Respekt für die Würde des Menschen, versucht, die Familie zu zerstören, ignoriert die Ehe, wertet die Bedeutung der Mutterschaft ab, fördert abweichende sexuelle Praktiken, sexuelle Promiskuität und Sex für Jugendliche.
Als Bürger von Industrienationen möchten wir uns bei den Menschen in weniger entwickelten Gebieten der Welt entschuldigen und uns mit ihnen solidarisch erklären in ihrer Verteidigung von Familie, Mutterschaft und Elternrechten. Wir sind beschämt über die Art, in der unsere Länder einen Prozess des erzwungenen „Konsens“ vorangetrieben haben, indem sie Übersetzungen verweigerten, Delegierte aus kleineren Ländern übergingen und solche, die Widerspruch erhoben, an den Pranger stellten.
Kein objektiv urteilender Mensch, der miterlebt hat, wie die Delegierten aus armen Ländern von den Vertretern reicher Nationen zur Gefügigkeit gezwungen wurden, kann hier von einem Konsens sprechen.
Es ist tragisch, dass sich die Entwicklungsländer hinter nationaler Souveränität verstecken müssen, um universelle Prinzipien des Respekts vor der Familie, der Mutterschaft, der Ehe, der Moral und der Keuschheit zu verteidigen, als seien dies merkwürdige, rückständige Sitten.
Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihnen keine andere Wahl bleibt, als dem „Konsens“ zuzustimmen, geben Sie zumindest ihre letzte Protestmöglichkeit nicht auf:
Bringen Sie im Plenum starke Vorbehalte zur Sprache.“21
Tatsächlich gab es im Plenum zahlreiche „Vorbehalte“. Doch hatte diese keinen Einfluss mehr auf den Resolutionstext. – Am Ende siegte das Establishment. Die Präsidentin Gertrude Mongella erklärte die Konferenz zum großen Erfolg.
Immer wieder werde ich gefragt, was ich in Peking sah. Auch auf die Gefahr hin, zu stark zu vereinfachen, ist meine Antwort:
Im UN-Establishment haben folgende Ansichten die Mehrheit:
1. In der Welt braucht es weniger Menschen und mehr sexuelle Vergnügungen. Es braucht die Abschaffung der Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie die Abschaffung der Vollzeit-Mütter.
2. Da mehr sexuelles Vergnügen zu mehr Kindern führen kann, braucht es freien Zugang zu Verhütung und Abtreibung für alle und Förderung homosexuellen Verhaltens, da es dabei nicht zur Empfängnis kommt.
3. In der Welt braucht es einen Sexualkundeunterricht für Kinder und Jugendliche, der zu sexuellem Experimentieren ermutigt; es braucht die Abschaffung der Rechte der Eltern über ihre Kinder.
4. Die Welt braucht eine 50/50 Männer/Frauen Quotenregelung für alle Arbeits- und Lebensbereiche. Alle Frauen müssen zu möglichst allen Zeiten einer Erwerbsarbeit nachgehen.
5. Religionen, die diese Agenda nicht mitmachen, müssen der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Das ist die Gender-Perspektive in Kurzform. Sie soll in den Mainstream gelangen. Damit dies geschehen kann, ist sie verpackt in wunderbare Worte wie Gleichheit, Rechte, Familien, reproduktive Gesundheit und Fairness. Diejenigen, die sich für den Schutz von Ehe und Familie und für wahre Würde und Autonomie von Frau und Mann einsetzen, sind gegen die Gender-Perspektive – nicht weil sie gegen einen Fortschritt in Frauenfragen wären, sondern weil sie für Frauen sind. Sollte die erträumte Zukunft der Gender-Feministen jemals wahr werden, wird die Welt weniger gerecht, weniger frei und weniger menschlich sein.
Alle Zitate aus Fremdquellen sind nach dem Buch von Dale O’Leary direkt aus dem Englischen übersetzt.
Auch das Zitat aus der „Pekinger Aktionsplattform“ ist direkt aus dem Englischen übersetzt. Im Internet ist einzusehen: Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz, Anlage II, Aktionsplattform, auszugsweise Übersetzung des Dokuments
A/CONF.177/20 vom 17. 10. 1995, www.un.org/Depts/german/conf/beijing/beij_bericht.html
1 Women’s Global Strategies Report, WEDO, Dezember 1994, zit. nach O‘Leary, S. 74.
2 Video Breaking Barriers, hergestellt von Judith Lasch, www.laschmedia.com/page4.html.
3 Carlson, A., What’s Wrong With the United Nations’ Definition of ’Family’? The Family in America, August 1994, S. 3.
4 IPPF: International Planned Parenthood Federation, internationale Lobbygruppe zur Kontrolle der Weltbevölkerung, die weltweit freien Zugang zu Verhütung und Abtreibung fördert.
5 Re-Imaging Conference, zit. in HLI Reports, Jan. 1995, S. 6.
6 Women in the World, The Lancet, 22. Juli 1995, S. 195.
7 Gender Concepts in Development Planning: Basic Approach, INSTRAW, 1995, S. 11.
8 Earth Negotiations Bulletin, 10.4. 1995.
9 Zitiert nach O’Leary, S. 78.
10 Alle drei Zitate aus der Rede von B. Abzug, zit. nach O’Leary, S. 86-87.
11 Aus dem Kursmaterial des Kurses: Re-imagining Gender, Hunters College, Kursleiterin: Lorna Smedman, 1995.
12 Rich, A., Compulsory Heterosexuality and Lesbian Existence, Bloody Bread and Poetry: Selected Prose, 1979-85, New York, S. 34f.
13 The Dangers of Femininity, Gender Differences: Sociology or Biology?, S. 40.
14 Bornestein, K., Gender Outlaw: On Men, Women and the Rest of Us, New York 1994, S. 52.
15 Fausto-Sterling, A., The Five Sexes: Why Male and Female Are Not Enough, The Sciences, March/April 1993.
19 Earth Negotiations Bulletin, 10.4. 1995.
20 Platform for Action, Paragraf 28 (27).
21 O’Leary, S. 203 f., hier gekürzt wiedergegeben."
(Quelle: https://www.dijg.de/gender-mainstreaming/dale-o-leary-agenda-konzept-hintergrund/)
Eine Zusammenfassung aus dem Buch „The Gender Agenda“ von Dale O’Leary
Was bedeutet der neue Gender-Begriff wie er in der „Pekinger Aktionsplattform“ und damit im Gender Mainstreaming vorkommt? Teil II gibt einen Einblick in die Entwicklung der Theorien der Gender-Perspektive und zeigt außerdem auf, welche Konsequenzen die Gender-Perspektive für die politische Agenda der weltweit operierenden Vereinten Nationen und der westlichen Staaten hat.
Auf der Vorbereitungstagung für die 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking hatten sich die UN-Delegierten nicht auf eine gemeinsame Definition des Wortes Gender einigen können. Viele waren damals verwirrt, denn es gab eine Kluft zwischen dem, was man im Alltag unter Gender verstand (Mann und Frau in ihrer sozialen Gestalt, aber mit fester Anbindung an das biologische Geschlecht) und den Theorien der Gender-Perspektive. Diese Theorien bildeten aber offensichtlich den Hintergrund für die Verwendung des Begriffs im Text für die Abschlussresolution der Weltfrauenkonferenz.
In den 1960er Jahren war es das Ziel des liberalen Feminismus, Frauen ebensoviel Freiheit in der Gesellschaft zu geben wie Männern und sich dafür einzusetzen, dass der Mensch als Individuum gesehen wurde – unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Geschlecht, Rasse). Diese Freiheiten möchte heute niemand mehr missen. Wir alle sind für das Wahlrecht der Frau; für ihr Recht, ein Amt zu bekleiden; für ihr Recht auf Chancengleichheit in Ausbildung und Beruf. Frauen wie ich [Dale O’Leary], die sich offen gegen die Gender Agenda aussprechen, engagieren sich auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet; wir erwarten gleiche Rechte, gleiche Ausbildung, gleiche Chancen und gleiche Behandlung.
Die Familienbefürworter sehen auch, wo der liberale Feminismus an seine Grenzen kommt, z.B. wo er die tatsächlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau ausblendet und nicht sieht, dass viele Gesetze, die zwischen Mann und Frau unterscheiden, gemacht wurden, um die Frau zu schützen. Der liberale Feminismus, der das autonome Individuum in den Mittelpunkt stellt, ignoriert die Bedeutung der Familie als soziale Einheit. Er neigt dazu, staatliche Interventionen als Lösung aller Probleme zu sehen, einschließlich der Probleme von Frauen.
Familienbefürworter sind davon überzeugt, dass man weder die Unterschiede zwischen den Geschlechtern leugnen, noch Ehe und Familie schwächen, noch auf weitgehende staatliche Interventionen setzen muss, um der gleichen Würde und den gleichen Rechten von Frauen und Männern vollauf verpflichtet zu sein.
Der marxistisch beeinflusste Feminismus
Schon Ende der 1960er Jahre wandten sich viele Feministinnen vom liberalen Feminismus ab. Er habe nicht erkannt, sagten sie, „dass es notwendig ist, die gesamte gesellschaftliche Ordnung zu ändern, wenn man die Befreiung der Frauen erreichen möchte.“2
Die wichtigsten Vertreterinnen des Feminismus seit den 1970er Jahren bis heute wandten sich den Philosophien von Marx und Engels zu, auch wenn sie dies nicht immer direkt zu erkennen geben. In den Theorien von Marx und Engels fanden sie ihr eigenes Thema wider: Die universale Unterdrückung der Frau durch den Mann und die Mann-Frau-Einzelehe als Ursprung und Urtypus aller Unterdrückung.
So schrieb die Gender-Feministin Kate Millett in „Sexual Politics“: „Der große Wert, den Engel’s Beitrag zur sexuellen Revolution hat, liegt in seiner Analyse der patriarchalen Ehe und Familie. (…) In der Unterwerfung der Frau unter den Mann sah Engels (und auch Marx) den historischen, konzeptuellen und Proto-Typ aller übrigen Machtsysteme, aller ungerechten ökonomischen Verhältnisse und die Tatsache von Unterdrückung überhaupt.“3
Friedrich Engels, ein Vater der Gender-Perspektive
Sehen wir uns einige Aussagen von Friedrich Engels an:
„In einem alten, 1846 von Marx und mir ausgearbeiteten, ungedruckten Manuskript finde ich: ’Die erste Teilung der Arbeit ist die von Mann und Weib zur Kinderzeugung.’ Und heute kann ich hinzusetzen: Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.“4
Alle Geschichte ist Klassenkampf. Der erste Klassenkampf aber ereignete sich in der Familie.
„Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung.“5
„Die moderne Einzelfamilie ist gegründet auf die offene oder verhüllte Haussklaverei der Frau...6
Über die verheiratete Frau schreibt Engels, dass sie „sich von der gewöhnlichen Kurtisane nur dadurch unterscheidet, dass sie ihren Leib nicht als Lohnarbeiterin zur Stückarbeit vermietet, sondern ihn ein für allemal in die Sklaverei verkauft.“7
Um Befreiung zur klassenlosen Gesellschaft zu erreichen, sagten Marx und Engels, müssen Produktion und Reproduktion aus den Händen der Unterdrücker genommen und in diejenigen der Unterdrückten gegeben werden. Für die Familie heißt das: Der Vater muss entmachtet werden. Macht und Kontrolle über die Reproduktion gehören allein der Frau. Engels war auch der Auffassung: Nur wenn die Frau außer Haus arbeitet und von der Last von Familie und Kinderpflege befreit ist, kann die Unterdrückung ein Ende nehmen:
„Es wird sich dann zeigen, dass die Befreiung der Frau zur ersten Vorbedingung hat die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie, und daß dies wieder die Beseitigung erfordert der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftlicher Einheit der Gesellschaft. (...)
Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche.“8
Knapp hundert Jahre später, 1972 schreibt die Feministin Shulamith Firestone ganz im Sinn von Engels:
„Die natürlichen reproduktiven Unterschiede zwischen den Geschlechtern führten unmittelbar zur ersten Arbeitsteilung basierend auf dem Merkmal Geschlecht; diese sind der Ursprung aller weiteren Teilungen in ökonomische und kulturelle Klassen.“9
„So wie die Abschaffung der ökonomischen Klassen die Revolte der Unterdrückten, das Proletariat, braucht und in einer vorübergehenden Diktatur dieses die Produktionsmittel in Besitz nehmen muss; ebenso braucht die Abschaffung der Klasse des Geschlechts die Revolte der Unterdrückten, der Frauen, und deren Inbesitznahme der Kontrolle über die Reproduktion. (…) Genau wie am Ende einer sozialistischen Revolution nicht nur die Abschaffung von ökonomischen Klassenprivilegien, sondern die Aufhebung der Klassenunterschiede selbst steht, so muss die feministische Revolution, im Gegensatz zur ersten feministischen Bewegung, nicht einfach auf die Beseitigung männlicher Privilegien, sondern auf die des Geschlechtsunterschiedes selbst zielen: genitale Unterschiede zwischen einzelnen Menschen haben dann keine gesellschaftliche Bedeutung mehr.“10
Bei Firestone finden wir bereits die zentralen Gedanken der heutigen Gender-Perspektive: Vor allem: Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist die Ursache aller Unterdrückung. Um diese zu überwinden, muss eine absolute Gleichheit von Frau und Mann hergestellt werden. Firestone weiss zwar, dass sie mit ihrer Auffassung die „die biologische Wirklichkeit“ angreift, doch ist sie der Auffassung: „Die Menschheit hat begonnen, über die Natur hinauszuwachsen. Wir können die Aufrechterhaltung einer diskriminierenden, auf Geschlecht basierenden Klassengesellschaft nicht länger damit rechtfertigen, dass sie ihre Ursprünge in der Natur selbst hat. Es sieht in der Tat so aus, als ob wir uns schon aus rein pragmatischen Gründen davon befreien müssen.“11
In der Gender-Perspektive heißt das analog: Die geschlechtliche Verschiedenheit von Frau und Mann hat keine Bedeutung mehr. Da die „biologische Wirklichkeit“ aber nicht abgeschafft werden kann, wird sie nun für komplett unwichtig und bedeutungslos erklärt. Genau hier liegt der Grund, warum die Gender-Perspektive das Wort „Gender“ gewählt hat, warum sie diesem Wort die Bedeutung „sozial konstruierte Rollen, unabhängig vom Geschlecht“ gegeben hat und warum sie das Wort „Geschlecht“ ablehnt. In der Vorbereitung zur 4. Weltfrauenkonferenz kämpften die Verfechterinnen der Gender-Perspektive mit allen Mitteln darum, dass in der Definition von Gender nur ja nicht mehr irgendwie die Begriffe „zwei Geschlechter, Mann und Frau“ vorkämen. Geschlecht soll nicht mehr zählen; es geht nur noch um Gender. Denn mit „Gender“ lässt sich erreichen, was mit „Geschlecht“ nicht geht: Die Vorstellung von einer absoluten „Gleichheit“ im Sinne von Auswechselbarkeit von Frau und Mann.
Ziel ist die klassenlose Gesellschaft, die von der grundlegendsten Klasse, die es gibt, befreit ist: von der „Klasse des Geschlechts“.
Die erste Strategie für die Umsetzung der neuen Gleichheit im Gender Mainstreaming heißt: Eine 50/50-Quotenregelung für Männer und Frauen für sämtliche Arbeits- und Lebensbereiche.
Bei der Neudefinition von Gleichheit durch die Gender-Perspektive geht es also nicht um gleiche Rechte, gleiche Chancen und gleiche Würde, sondern um „statistische Gleichheit“. Frauen sollen 50 Prozent aller Arbeitsplätze bis hin zu den höchsten Ämtern einnehmen und Männer gezwungen werden, 50 Prozent der Säuglings- und Kinderpflege zu übernehmen. Alternativ (und leichter zu erreichen) sollen alle Frauen mit oder ohne Kinder jederzeit einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Kinderpflege übernimmt der Staat.
Die zweite Strategie zur Umsetzung der neuen Gleichheit heißt: Die Frau muss die alleinige und absolute Kontrolle über die Reproduktion haben, d.h. freien Zugang zu Verhütung und Abtreibung, wenn möglich während der gesamten Schwangerschaft. Nur so kann sie „Gleichheit“ mit dem Mann und statistisch gleiche Teilnahme an der Erwerbstätigkeit erreichen.
In Kurzform: Das Ziel der Gender Agenda ist die Abschaffung jeglichen Unterschiedes zwischen Frau und Mann. Die Strategie dazu heißt: Es zählt nicht mehr Geschlecht, sondern nur noch Gender. Die politische Umsetzung heißt: Statistisch gleiche Teilnahme der Frau am bezahlten Arbeitsleben außer Haus und die absolute Kontrolle der Frau über die Reproduktion.
Firestone hat die Zukunft der Gleichheit so vorgedacht: Gleichheit werde nur erreicht, schreibt sie, wenn die Frauen von der Last des Kindergebärensbefreit sind: „Die Reproduktion des Menschen durch nur ein Geschlecht [die Frau] würde ersetzt werden durch zumindest die Möglichkeit von künstlicher Reproduktion. Die Kinder würden dann beiden Geschlechtern in gleicher Weise geboren werden, oder unabhängig von Mann und Frau, je nachdem, wie man es sieht.“12
Die Neudefinition von Familie
Wo das Geschlecht, d.h. die konkrete Leiblichkeit von Mann und Frau unwichtig geworden ist, gibt es auch keine Komplementarität der Geschlechter mehr. Wo es nur noch um Gender statt um Geschlecht geht, ist es unwichtig, ob eine Frau sexuelle Beziehungen mit einem Mann oder einer Frau hat, mit einem oder mit mehreren Menschen. Die Gender Agenda setzt sich deshalb für die Gleichstellung zahlreicher sexueller Lebensweisen und damit für eine komplette Neudefinition von Ehe und Familie ein:
„Die schwul-lesbische Kultur lässt sich auch als subversive Kraft sehen, die das hegemonische Konzept der Familie herausfordert. Das kann durchaus auf eine Weise geschehen, bei der die Leute nicht merken, dass sich der Vorstoß gegen die Familie als solche richtet. Ein einfacher Slogan nach dem Motto ’Weg mit der Familie!’ wird als Drohung aufgefasst, nicht so sehr gegen die herrschende Klasse, sondern vielmehr gegen die Arbeiterklasse, deren Angehörige zur Wahrung von Sicherheit und Stabilität ihres Lebens oftmals auf die Familie setzen. Damit die subversive Natur der schwulen Kultur wirksam genutzt werden kann, müssen wir alternative Deutungsmodelle für menschliche Beziehungen anbieten.“13
Die Feministin Ellen Herman schreibt: „(Junge Feministinnen) ... wollen die Freiheit, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Familien ohne Sanktionen in jeder erdenklichen Weise zu gestalten: Sie wollten Frauen oder Männer lieben, Sex mit einer oder parallel mit mehreren Personen haben, mit oder ohne Kinder leben, an der Elternschaft teilhaben ohne zwangsläufig auch an der Reproduktion teilzuhaben. Nur wenn es ihnen gelingen würde, Familien jeglicher Art zu erfinden – ohne Angst vor Spott oder Selbstverachtung –, ergäbe sich für Frauen die Hoffnung, ihre wahre Identität zu erlangen, anstatt als Gefangene einer Geschlechts- oder Gender-Klasse in eine Kategorie gesteckt zu werden.“14
Aus der Sicht der Gender-Feministen müssen Ehe und Familie abgeschafft oder völlig umgedeutet werden. Nur dann kann sich auch die Sexualität aus den „Zwängen“ befreien. Zuerst gilt es, „der heterosexuellen Ideologie, die die männliche Vorherrschaft am Leben erhält, den Kampf“ anzusagen.15
Auch das Inzest-Tabu muss fallen, schreibt Firestone: „Das Inzest-Tabu wird lediglich gebraucht, um die Familie zu erhalten; wenn wir die Familie abschaffen würden, würden auch die Verdrängungen fallen, die die Sexualität in spezifische Ausdrucksformen pressen.“16
[Die Aufhebung des Inzest-Tabus ist in der Tat ein zentrales Instrument zur Zerstörung der Familie. Von Gender-Feministen wird es schon lange gefordert, z.B. von Judith Butler. Jetzt, 2007, steht es offen zur Disposition in der BRD.17 Anm.d. Hg.]
Shulamith Firestone attackierte auch noch eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft: „Tabus bezüglich Erwachsenen-Kind-Sex und homosexuellem Sex würden ebenso verschwinden wie nicht-sexuelle Freundschaften… Alle engen Beziehungen würden das Körperliche mit einbeziehen.“18
Dekonstruktivistische Theorien
Wir können die Gender-Perspektive nicht besprechen, ohne auf eine der bekanntesten Verfechterinnen einzugehen, auf die amerikanische Philosophin und Professorin für Literaturwissenschaft Judith Butler. Ihr Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ erschien 1991. Ihre Theorien, soweit sie für den vorliegenden Kontext relevant sind, lassen sich im Ergebnis so zusammenfassen:
1. Es gibt beliebig viele, frei wählbare Gender.
2. Es gibt kein „wahres“ männliches oder weibliches Geschlecht, diese Worte sind nur gesellschaftlich konstruierte Begriffe, um Machtverhältnisse, nämlich die Herrschaft des Mannes über die Frau, aufrechtzuerhalten.
3. Nicht nur „Gender“ ist gesellschaftlich konstruiert, sondern auch „Geschlecht“ (sex).
4. Ziel muss die „Dekonstruktion“, d.h. die Auflösung von Mannsein und Frausein sein.
So schreibt Butler über die Unterscheidung zwischen Geschlecht (sex) und „Geschlechtsidentität“ (Gender):
„Ursprünglich erfunden, um die Formulierung ’Biologie ist Schicksal’ anzufechten, soll diese Unterscheidung das Argument stützen, dass die Geschlechtsidentität (Gender) eine kulturelle Konstruktion ist, unabhängig davon, welche biologische Bestimmtheit dem Geschlecht weiterhin hartnäckig anhaften mag. Die Geschlechtsidentität (Gender) ist also weder das kausale Resultat des Geschlechts, noch so starr wie scheinbar dieses. Die Unterscheidung Geschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (Gender) erlaubt vielmehr, die Geschlechtsidentität (Gender) als vielfältige Interpretation des Geschlechts zu denken und sie ficht bereits potentiell die Einheit des Subjekts an. Wenn der Begriff Geschlechtsidentität (Gender) die kulturellen Bedeutungen bezeichnet, die der sexuell bestimmte Körper (sexed body) annimmt, dann kann man von keiner Geschlechtsidentität (Gender) behaupten, dass sie aus dem biologischen Geschlecht folgt. Treiben wir die Unterscheidung Geschlecht (sex) / Geschlechtsidentität (Gender) bis an ihre logische Grenze, so deutet sie vielmehr auf eine grundlegende Diskontinuität zwischen den geschlechtlich bestimmten Körpern (sexed bodies) und den kulturell bestimmten Geschlechtsidentitäten (Gender) hin. (…) Setzen wir für einen Augenblick die Stabilität der geschlechtlichen Binarität (binary sex) voraus, so folgt daraus weder, dass das Konstrukt ’Männer’ ausschließlich dem männlichen Körper zukommt, noch dass die Kategorie ’Frauen’ nur weibliche Körper meint. Ferner: Selbst wenn die anatomischen Geschlechter (sexes) in ihrer Morphologie und biologischen Konstitution unproblematisch als binär erscheinen (was noch die Frage sein wird), gibt es keinen Grund für die Annahme, dass es ebenfalls bei zwei Geschlechtsidentitäten (zwei Gender) bleiben muss. (…) Wenn wir jedoch den kulturell bedingten Status der Geschlechtsidentität (Gender) als radikal unabhängig vom anatomischen Geschlecht denken, wird die Geschlechtsidentität (Gender) selbst zu einem freischwebenden Artefakt. Die Begriffe Mann und männlich können dann ebenso einfach einen männlichen und einen weiblichen Körper bezeichnen wie umgekehrt die Kategorien Frau und weiblich. (…)
Wenn man den unveränderlichen Charakter des Geschlechts bestreitet, erweist sich dieses Konstrukt namens ’Geschlecht’ vielleicht als ebenso kulturell hervorgebracht wie die Geschlechtsidentität (Gender).“19
Judith Butler gehört zur Führungsspitze von IGLHR (International Gay and Lesbian Human Rights Commision), einer internationalen Homosexuellenorganisation. Die IGLHR ist eine von der UN akkreditierte NGO und war aktiv in der Vorbereitung für die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking beteiligt.
Von der Theorie zur Praxis
Mann und Frau – nur „Scheinwesen“?
Judith Butlers Theorien – so weit entfernt sie von der alltäglichen Realität sein mögen – haben längst Eingang in Politik und Strategie der UN gefunden. So heißt es in einem Buch zum Thema Gender und UN:
„Das Konzept von ’Gender als Macht’ ermöglicht es uns, einen Schritt weiterzugehen: Vorzuschlagen, dass unsere gesamte Art, über menschliche Wesen zu denken und zu sprechen, auf Macht beruht. Gerade die Worte ‚Frauen‘ und ‚Männer‘ sind Ausdruck dieser Macht. Individuen als ‚Frauen‘ oder ‚Männer‘ zu bezeichnen, ist die Ausübung von Macht, denn die Bezeichnung ruft eine Reihe von Erwartungen hervor darüber, wer jemand ist, wer er nicht ist und welchen Spielraum er in Bezug auf seine Wahlmöglichkeiten hat.
’Gender als Macht’ argumentiert, dass Frauen und Männer gemacht, nicht geboren sind. Sie werden durch genau diese Labels geschaffen – es sind Labels, die einige Türen öffnen und andere schließen. Das Labeling erzeugt ein Scheinwesen [fictitious being]... und setzt die Ungleichheit weiter fort, weil jenes menschliche Wesen, das die eine Bezeichnung hat, mehr Rechte und Privilegien hat als das andere, das eine andere Bezeichnung hat.“20
Die neue Gender Gleichheit
Das Ziel heißt: Gender Gleichheit. Wer könnte gegen Gleichheit sein? Schon in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt es, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Doch den Vertretern der Gender-Perspektive geht es nicht um gleiche Würde, gleiche Rechte, gleiche Menschlichkeit. Sie haben Gleichheit, ohne dass man es bemerkt hätte, neu definiert. Es geht ihnen um statistische Gleichheit, um statistisch gleiche Quoten von Männern und Frauen in allen Sparten des öffentlichen und privaten Lebens.
Die Feministin Susan Okin schreibt über die Charakteristika der „gerechten Gesellschaft“: „Geschlecht hätte nicht mehr gesellschaftliche Relevanz als die Augenfarbe oder die Länge der Zehen. Es würden keine Annahmen über „männliche“ und „weibliche“ Rollen gemacht. Das Gebären von Kindern wäre konzeptuell so völlig vom Aufziehen der Kinder und von anderen familiären Verantwortungen getrennt, dass es ein Grund zur Überraschung und Anlass zur Sorge wäre, wenn Männer und Frauen nicht im gleichem Maße verantwortlich für das häusliche Leben wären, oder wenn die Kinder mehr Zeit mit einem Elternteil verbringen würden als mit dem anderen. Es wäre eine Zukunft, in der mehr oder weniger dieselbe Anzahl von Männern und Frauen an allen Bereich des Lebens, von der Säuglingspflege über die verschiedenen Arten bezahlter Arbeit bis zur hohen Politik teilnehmen würden.21
Abwertend bezeichnet die Gender-Perspektive Unterschiede zwischen Mann und Frau als „Geschlechterstereotype“, die abgeschafft werden müssten. Die „Pekinger Aktionsplattform verurteilt es ausdrücklich, wenn Schulbücher Frauen und Männer „in traditionellen Rollen“ zeigen.
Alle „traditionellen Vorstellungen“ sollen aus Cartoons, Fernseh-Serien, Werbespots und Spielfilmen verschwinden. Stattdessen soll nur noch die angestrebte 50/50 Quotenregelung gezeigt werden: Männer und Frauen, die in gleicher Anzahl als Soldaten, Wissenschaftler, Feuerwehrleute und LKW-Fahrer arbeiten. Aktionen, die nur Männer zeigen, sind „diskriminierend“. Als Hausfrau soll eine Frau nur gezeigt werden, wenn sie ein Misshandlungsopfer ist oder ihr Ehemann ein religiöser Fanatiker.
Okin räumt zwar ein, dass es vielen Frauen Freude bereitet, sich um ein Kind zu kümmern. Aber da es Frauen wirtschaftlich verwundbar mache, wenn sie die Hauptrolle in der Säuglings- und Kinderpflege übernehme, müsse diese Rolle abgeschafft werden.
Es ist richtig, dass Frauen durch Schwangerschaft, Säuglings- und Kinderpflege verwundbar werden. Doch was ist eine angemessene Antwort darauf, eine Antwort, die auch die Bedürfnisse der Kinder miteinbezieht? Bisher haben Staat und Gesellschaft den Frauen verschiedene Formen des Schutzes angeboten, z.B. die Institution der Ehe. Okin ist nicht bereit, ein legitimes Bedürfnis der Frau nach Schutz anzuerkennen.
Die einzige Lösung für Susan Okin ist, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu leugnen: „Eine gerechte und faire Lösung für das dringende Problem der Verwundbarkeit von Frauen und Kindern muss die gerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter, von produktiver und reproduktiver Arbeit zwischen Männern und Frauen stärken und ermöglichen. Wir müssen auf eine Zukunft hinarbeiten, in der sich alle mit großer Wahrscheinlichkeit für diesen Lebensstil entscheiden.“22
Auf diese Zukunft arbeiten heute schon viele Gender Feministinnen hin.
Die Abschaffung geschlechtlicher Verschiedenheiten um jeden Preis
Solche Theorien sind meilenweit von der alltäglichen Realität vieler Frauen in der ganzen Welt entfernt. Doch sind sie eng mit dem verbunden, was in der UN geschieht.
Die für Frauenforschung in der UN verantwortlich Behörde, INSTRAW, hat sich der gender-feministischen Auffassung angeschlossen. Auch für sie sind geschlechtliche Verschiedenheiten nur „geschlechtsstereotype Rollen“. Diese in Frage zu stellen scheint wichtiger als den konkreten Bedürfnissen von Frauen zu begegnen:
„Die praktischen Bedürfnisse von Frauen hängen in der Regel zusammen mit existierenden Geschlechterrollen, die den Frauen durch traditionelle Arbeitsteilung zugewiesen wurden. (...) Nur die praktischen Bedürfnisse zu befriedigen reproduziert lediglich diese Arbeitsteilung und die Machtverhältnisse, die den Status quo aufrechterhalten.“ 23
Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist für INSTRAW eine „institutionalisierte Form der Diskriminierung“:
„Strategische Ziele dagegen stellen bestehende geschlechtsspezifische Rollen und Stereotype, die auf der Prämisse beruhen, dass Frauen sich gegenüber Männern als Folge ihrer gesellschaftlichen und institutionellen Diskriminierung in einer untergeordneten Position befinden, in Frage. (...) Strategische Gender-Interessen suchen nach Zielsetzungen wie der politischen Gleichstellung von Frauen und Männern, der Beseitigung von institutionalisierten Formen der Diskriminierung von Frauen, der Abschaffung geschlechtsbezogener Arbeitsteilung, der Freiheit der reproduktiven Wahl und der Verhütung von Gewalt gegen Frauen.“ 24
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass INSTRAW die Frauen in den ärmeren Ländern jemals gefragt hat, ob sie ihre geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufgeben oder lieber praktische Hilfe möchten.
INSTRAW hat die Gender-Perspektive übernommen, wie sie schon Simone de Beauvoir vertrat: „Keine Frau soll das Recht haben, zu Hause zu bleiben und die Kinder zu erziehen. (...) Frauen sollten diese Wahlfreiheit nicht haben, denn wenn sie sie haben, werden zu viele Frauen sie wählen.“25
Im Klartext heißt das: Frauen sollte nicht erlaubt werden, selbst zu entscheiden, was sie wollen, denn sie sind ja nur von den gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen beeinflusst und wollen deshalb das Falsche: Schwangerschaft, stillen, sich um Säuglinge und kleine Kinder kümmern.
Die Gender Agenda redet davon, dass sie das Leben von Frauen verbessern möchte. Aber sie greift Frauen an, die zu Hause bei ihren Kindern bleiben möchten. Sie greift Frauen an, die ihre Kinder und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung schützen möchten. Sie verurteilt Frauen, die „traditionellen“ Berufen nachgehen möchten.
In zahlreichen Dokumenten wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine wirkliche Demokratie erst erreicht werden könne, wenn die absolute statistische Gleichheit in allen Bereichen öffentlichen und privaten Lebens verwirklicht ist.
In der „Pekinger Aktionsplattform“ geht es um: „die Verpflichtung, folgendes einzuführen: das Ziel, einen gleichen Anteil von Frauen und Männern in Regierungsorganen und Regierungsausschüssen sowie in der öffentlichen Verwaltung und Justiz zu haben; u.a. spezifische Zielwerte festzulegen und Maßnahmen zur substantiellen Erhöhung des Frauenanteils durchzuführen, mit dem Ziel – erforderlichenfalls durch Fördermaßnahmen – eine gleiche Repräsentation von Frauen und Männern in allen Regierungs- und Verwaltungspositionen zu erreichen;... das Ergreifen von Maßnahmen – gegebenenfalls auch in den Wahlsystemen – die die politischen Parteien ermutigen, Frauen in öffentliche Wahlämter und Nichtwahlämter im gleichen Prozentsatz und gleichen Rang zu integrieren wie Männer; ... das Überwachen und Evaluieren der Fortschritte bezüglich der Vertretung von Frauen.“26
Es ist erstaunlich, wie eloquent man eine 50/50 Quotenregelung fordern kann, ohne das Wort fünfzig zu benutzen
Gender-spezifische Statistiken
Wenn das Ziel statistische Gleichheit ist, muss diese gemessen werden. Die Pekinger Aktionsplattform fordert wiederholt gender-spezifische Statistiken. „Ungleichheit“ in der Beteiligung an bestimmten Ämtern und Positionen oder an gemessener Leistung wird als Beweis für „Diskriminierung“ herangezogen, nicht als Hinweis darauf, dass Männer und Frauen verschieden sind und möglicherweise Verschiedenes wollen.
Ziel der Gender-Agenda ist ein Meinungsklima, in dem Gleichstellung nicht mehr als Rechts- und Chancengleichheit gesehen wird, sondern als „statistisch gleicher Anteil“. Wird die statistische Gleichheit nicht erreicht, leitet die Politik des Gender Mainstreaming aktive Fördermaßnahmen zur Beendigung der „Diskriminierung“ ein.
Die Befürworter statistischer Gleichstellung können keine Belege dafür anführen, dass Männer und Frauen sich eine statistisch gleiche Beteiligung in allen Berufs- und Lebensbereichen wünschen. Für die Gender Aktivisten beweist der mangelnde Wunsch nach statistischer Gleichstellung nur, dass die Frauen durch „Geschlechtsstereotype“ sozialisiert wurden – und diese müssten abgeschafft werden.
Um die Gender Agenda durchzusetzen, braucht es nicht nur neue Behörden zur Aufstellung geschlechts- bzw. gender-spezifischer Statistiken. Es braucht Experten für Gender-Analysen, Schulungen für Gender-Sensibilität und neue Ausbildungszweige für Gender Gleichstellungsbeauftragte. Kurz: Es braucht eine wachsende Bürokratie. Je mehr die Gender Agenda umgesetzt wird, desto mehr gibt das den Studienabgängern für Gender Studies sowie den Gender-Feministen eine faktische Kontrolle über die gesellschaftlichen Institutionen.
Die Familienbefürworter setzen sich für Gerechtigkeit ein, unbedingt für Chancen- und Rechtsgleichheit für die Frau, nicht aber für statistische Gleichheit. In Wirklichkeit ist die Gender Agenda ein Angriff auf die natürlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau und auf persönliche Entscheidungen.
Die Familienbefürworter sind der Auffassung: Kein Mädchen sollte entmutigt werden, eine Karriere in einem „nicht-traditionellen“ Beruf zu wählen, aber ebenso wenig sollte ein Mädchen dazu gezwungen werden. Einige Frauen genießen zu Recht die Herausforderung, sich in einem früher von Männern dominierten Feld zu behaupten. Künstliche Barrieren, die Frauen in der Vergangenheit von bestimmten Feldern abhielten, sollten abgebaut werden. Aber eine durch Schaffung bestimmter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen mehr oder weniger erzwungene statistische Gleichheit ist ein direkter Angriff auf die Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen.
Werden künstliche Barrieren abgebaut, ändert sich tatsächlich die Verteilungsquote von Frauen und Männern in einigen Berufen. In einer Studie wurde die prozentuale Beteiligung von Frauen (18-65 Jahre) in ausgewählten Berufen im Jahre 1970 mit der im Jahr 1990 verglichen. In einigen Bereichen gab es einen signifikanten Anstieg der Beschäftigung von Frauen: Der Anteil der weiblichen Barkeeper stieg von 26 auf 52 Prozent; der Anteil der Busfahrerinnen von 32 auf 50 Prozent, der Anteil der Anwältinnen und Richterinnen von 6 auf 26 Prozent. In anderen Bereichen aber (Soldat, Automechaniker, Bibliothekar, Krankenpflegerin, Pilot, Sekretärin, Lehrerin) blieb das prozentuale Verhältnis praktisch unverändert.27
Es ist sogar möglich, dass der Abbau künstlicher Barrieren langfristig zeigen wird, dass sogenannte „Geschlechterstereotype“ in Wirklichkeit tatsächliche Unterschiede in den besonderen Interessen und Begabungen vieler Männer und Frauen widerspiegeln.
Feministen wollen, dass Frauen 50 Prozent aller „Entscheidungsträger-Positionen“ und wichtigen öffentlichen Ämter einnehmen. Aber Frauen fühlen sich nicht automatisch dadurch befreit, dass die Leitung in einer gigantischen Bürokratie jetzt eine Frau innehat. Frauen wollen selbst Entscheidungen treffen, unabhängig von politischen Zwängen. Wenn es nach der „Pekinger Aktionsplattform“ geht, werden den Frauen im Alltag mehr Entscheidungsspielräume entzogen und bürokratische Apparate erhalten zunehmend Macht und Einfluss.
Umgekehrte Diskriminierung
Die Forderung nach einer gleichen Quote von Männern und Frauen in politischen Ämtern führt auch nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern zu neuen Ungerechtigkeiten. Eine Quotenregelung würde weiblichen Bewerbern einen unfairen Vorteil verschaffen, da weniger Frauen politische Ämter anstreben als Männer aus dem einfachen Grund: Es wird immer einen Teil von Frauen geben, auch unter den klügsten und talentiertesten, die Mutterschaft als ihre primäre Aufgabe sehen, und die deshalb auf ein zeitaufreibendes politisches Amt verzichten.
Die Durchsetzung einer 50/50-Quotenregelung nimmt außer-dem Frauen und Männern die individuelle Freiheit, denjenigen Kandidaten zu wählen, den sie möchten. Nicht alle Frauen sind z.B. der Auffassung, dass ihre Interessen besser von Frauen vertreten werden. Umgekehrt gilt auch: Wenn Frauen möchten, können sie zu 100 Prozent Frauen wählen. Wenn aber von vornherein festgelegt ist, dass 50 Prozent der Wahlämter mit Frauen besetzt werden müssen, ist das ein Angriff auf die Wahlfreiheit des Einzelnen.
Krieg gegen die Mutterschaft
Es gibt ein Haupthindernis auf dem Weg zur statistischen Gleichheit: die Mutterschaft – die besondere Begabung der Frau, schwanger zu werden, Kinder zur Welt zu bringen, zu stillen und primäre Bindungssperson für den Säugling und das Kleinkind zu sein. Wenn auch nur ein bestimmter Prozentsatz von Frauen Mutterschaft als ihre wichtigste Bestimmung wählt, wird statistische Gleichheit zur statistischen Unmöglichkeit. Das wichtigste konkrete Ziel der Gender Agenda und des Gender Mainstreaming heißt deshalb: Krieg gegen die Mutterschaft.
Eine Übersicht über die feministischen Bücher zeigt: Neben Ehe und Familie stellen sie die Mutterschaft als Hauptquelle der Unterdrückung der Frau dar. Der Wunsch der Frau, „mütterlich“ zu agieren, d.h. in einer intimen, tagtäglichen, nahen Verbindung mit den Kindern zu stehen, wird als etwas gesehen, das der Frau von der „patriarchalischen Gesellschaft“ aufgezwungen wurde.
So glaubt die Feministin Nancy Chodorow: In einer Familie, in der der Vater arbeiten geht und die Mutter zuhause ist, lernt das Kind anzunehmen, dass Mann und Frau verschieden sind. Mädchen identifizieren sich mit den Müttern. Jungen lernen, dass sie nicht wie ihre Mütter sind. Hat der Gedanke von der Verschiedenheit der Geschlechter einmal Fuß gefasst, werden die Kinder auch später immer in Unterscheidungen denken – und so das Übel des Klassendenkens weitertragen.28
Die „Pekinger Aktionsplattform“ enthält kein einziges positives Statement über Frauen, die ganztägig zu Hause als Mutter und Ehefrau arbeiten.
Als Lösungen für das Problem bietet die Gender Agenda u.a. an: „Ein verändertes soziales Bewusstsein“; „Retortenbabys“; die Verteilung der „Verantwortung für die Kindererziehung auf zahlreiche Haushalte“ und die „umfassende Beteiligung des Vaters an den Elternpflichten.“29
Die Familienbefürworter setzen sich sehr wohl dafür ein, dass Väter eine aktive Rolle in der Erziehung ihrer Kinder spielen. Kinder brauchen Mutter und Vater, aber das heißt nicht, dass jeder von ihnen genau gleich viel Zeit zu Hause und außer Haus verbringen muss. Mütterliche und väterliche Aufgaben sind nicht identisch.
Familienbefürworter sagen auch nicht, dass jede Mutter zu Hause bleiben solle oder dass Väter sich nicht an der Arbeit im Haushalt beteiligen sollten. Sie sind der Auffassung, dass jedes Paar das Recht hat, selbst zu entscheiden, wie sie Familienarbeit und Erwerbstätigkeit aufteilen möchten. Wenn Mann und Frau sich jeder zu gleichen Teilen an der Familienarbeit und der Erwerbstätigkeit beteiligen wollen, muss das möglich sein. Wenn aber z.B. die Mutter ganz zu Hause bei den Kindern bleiben möchte und nur der Vater außer Haus arbeitet, sollte sich keine Regierung einmischen und diese Familie in irgendeiner Weise finanziell oder ideell bestrafen.
Kinder brauchen eine eins-zu-eins-Beziehung
Die neue Hirnforschung zeigt: Die ersten fünf Jahre eines Kindes sind die wichtigsten für die Entwicklung des Gehirns. Das Kind braucht in dieser Zeit intensive „eins-zu-eins“- Beziehungen. Kinder sind von Geburt an ausgestattet mit einer Person, die die „eins-zu-eins“-Beziehung geben kann: mit der Mutter.
Selbst eine Mutter, die sehr gut verdient, kann sich nur in seltenen Fällen eine Ersatzmutter leisten, die die notwendige intensive Dauer-Bindungsarbeit übernimmt. Eine Mutter, die nur durchschnittlich verdient, kann ihre Kinder nur in Kinderkrippen geben, wo immer mehrere Kinder auf eine Bezugsperson kommen und es immer eine Fluktuation der Betreuerinnen geben wird wird.
Feministen sagen, dass die Gesellschaft Müttern ein schlechtes Gewissen mache, wenn sie bald nach der Geburt wieder arbeiten gehen. Aber wahrscheinlich ist es umgekehrt: Die Mütter haben von sich aus ein schlechtes Gewissen, weil sie spüren, dass auch der beste Krippenplatz nur zweite Wahl ist.
Die Auffassung der Gender Aktivisten ist, dass es „Frauen Power“ nur gibt, wenn jede Frau berufstätig und damit finanziell autonom ist. Doch wo bleiben Schwangerschaft, Geburt und Säuglingspflege? Wo bleiben die Bindungsbedürfnisse des Kindes? Die Gender Agenda fragt nicht zuerst nach dem, was Kinder brauchen; sie hat nur ein kurzsichtiges Ziel im Auge: um jeden Preis die Geschlechterdifferenzen einzuebnen.
Wenn eine Frau nicht erwerbstätig ist, weil sie für die Familie da sein möchte, ist sie abhängig davon, dass der Vater die gesamte finanzielle Verantwortung übernimmt. Solche ökonomische „Abhängigkeit“ bringt aber Frauen die „Power“, sich frei für das Muttersein entscheiden zu können. Die Familienbefürworter sind der Auffassung, dass eine Frau das Recht haben muss, ohne finanzielle oder gesellschaftliche Zwänge selbst entscheiden zu können, ob sie vollzeitig berufstätig sein möchte oder vollzeitig Mutter oder Teilzeit erwerbstätig.
Feministen bestehen darauf, dass nur erwerbstätige Frauen autonom sind. Doch wenn der größte Teil des Einkommens der Frau durch höhere Steuern, für Krippenplätze und andere Dienstleistungen, die die Frau vermehrt aufgrund ihrer Berufstätigkeit braucht, schon aufgefressen werden, wo liegt der Vorteil? Einige Frauen sagen, dass sie zu Hause wirkliche Autonomie erleben. Sie können sich den Tag einteilen, selbst Entscheidungen treffen. Oft sind sie für das Management des Familieneinkommens zuständig und machen das Beste daraus.
Ein Argument, Frauen in die Erwerbsarbeit zu locken, heißt: Die Gesellschaft braucht die Talente und Gaben aller Bürger und Bürgerinnen. Für Mütter, die zu Hause sind, ist das eine Beleidigung. Sie besagt, dass Mütter, die sich zu Hause ihren Kindern widmen, ihre Talente vergeuden. Einem Kind zu helfen, zur Welt zu kommen und emotional sicher und mit guten Bindungsfähigkeiten aufzuwachsen, ist aber die wichtigste Arbeit, die in einer Gesellschaft getan werden kann.
Vollzeit-Mütter wehren sich dagegen, dass sie nur Bürger zweiter Klasse sein sollen, gefangen in „niederen, unterwürfigen“ Rollen, die nur darauf warten, durch Vollzeit-Erwerbstätigkeit befreit zu werden, so dass sich endlich die Gesellschaft ihrer Gaben und Talente bedienen kann. Auf der Weltfrauenkonferenz bemerkte eine Amerikanerin, die zur Familienkoalition gehörte: „Uns sind keine Chancen genommen worden. Feministinnen scheinen zu denken, dass Vollzeit-Mütter das Haus nicht verlassen. Wir sind hier, in Peking!“ Unter den Müttern der Familienkoalition war eine Frau mit acht Kindern, die das Institut „National Institute of Womanhood“ („Nationales Institut für die Frau“) gegründet hatte. Eine andere Vollzeit-Mutter in Peking war Herausgeberin einer Frauenzeitschrift. Wieder eine andere leitete eine ehrenamtliche Initiative gegen die Ausbreitung der Prostitution.
Vorbedingung einer echten Partnerschaft zwischen Frau und Mann ist nicht, dass beide statistisch gleich viel Haus- und Erwerbsarbeit übernehmen. Vollzeitige Mutterschaft gibt Frauen Zeit- und Energie-Freiräume, die erwerbstätige Mütter oft nicht haben. Damit können sich Vollzeit-Mütter in vielerlei Weise in der Gesellschaft engagieren. Viele Frauen würden gerne zu Hause bleiben, müssen aber aus finanziellen Gründen erwerbstätig sein. Wovon werden die Kinderkrippen bezahlt? Von Steuern – und hohe Steuern führen dazu, dass die Mutter erwerbstätig sein muss, weil sonst das Familieneinkommen nicht reicht.
Die finanziellen Zwangslagen kommen aber oft nicht von unsichtbaren „unausweichlichen“ ökonomischen Kräften, sondern sind von anderen geplant und gemacht. Die Gender Feministen sagen: „Heutzutage müssen die Frauen arbeiten gehen“. Was sie nicht sagen, ist, dass sie dafür gearbeitet haben, dass heutzutage die Frauen arbeiten gehen müssen.
Die Vertreter von Ehe und Familie sind gegen die Gender-Perspektive – nicht weil sie gegen Fortschritt in Frauenfragen wären, sondern gerade weil sie für die Frauen sind. Sollte die erträumte Zukunft der Feministinnen je wahr werden, wird die Welt weniger gerecht, weniger frei und weniger menschlich sein.
Alle Zitate aus Fremdquellen sind nach dem Buch von Dale O’Leary direkt aus dem englischen übersetzt mit Ausnahme der Zitate von Friedrich Engels und Judith Butler.
Auch die Zitate aus der „Pekinger Aktionsplattform“ sind direkt aus dem Englischen übersetzt. Im Internet ist einzusehen: Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz, Anlage II, Aktionsplattform, auszugsweise Übersetzung des Dokuments A/CONF.177/20 vom 17. 10. 1995, www.un.org/Depts/german/conf/beijing/beij_bericht.html
1 Zum Begriff siehe Teil I.
2 Jagger, A., Political Philosophies of Women‘s Liberation, Totowa 1977, S. 9.
3 Millett, K., Sexual Politics, New York 1971, S. 167, 169.
4 Engels, Friedrich - „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ in: Karl Marx/Friedrich Engels-Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 1962, S. 68.
5 Engels, F., ebd., S.61.
6 Engels, F., ebd., S. 75.
7 Engels, F. ebd., S. 73.
8 Engels, F. ebd., S. 76, 77.
9 Firestone, S., The Dialectic of Sex, New York 1972, S. 9 (dt.: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt, 1978).
10 Firestone, S., ebd., S. 10.
11 Firestone, S., ebd., S. 10.
12 Firestone, S., ebd., S.12.
13 Riddiough, C., Socialism, Feminism and Gay/Lesbian Liberation, in: Women and Revolution, hg. Lydia Sargent, Boston, 1981, S. 87.
14 Herman, E., Still Married After All These Years, Sojourner: The Women’s Forum, Sept 1990, S. 14.
15 Jagger, A., a.a.O., S. 15.
16 Firestone, S., a.a.O., S. 59.
17 Siehe z.B. www.anwalt.de/presse/pdf/anw_presse_20070307_19.pdf
18 Firestone, S., a.a.O., S. 240.
19 Butler, J., Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt 1991, (englische Originalausgabe: Gender Trouble, Routledge 1990), S. 22-23. Zum besseren Verständnis für den heutigen Leser, der mit dem Wort Gender vertraut ist, wurden die englischen Originalworte sex und gender jeweils an den entsprechenden Stellen in Klammern eingefügt. An einer Stelle weicht der Text geringfügig von der deutschen Übersetzung ab. Anm. d. Hg.
20 Beckman, P. R., D’Amico, F., Women, Gender, and World Politics, Westport, CT: Bergin u.Garvey, 1994, S. 7.
21 Okin, S., Justice, Gender, and the Family, New York, 1989, S. 170.
22 Okin,S., ebd., S. 170.
23 INSTRAW, Gender Concepts in Development Planning, Basic Approach, 1995, S. 27.
25 Beauvoir, Simone de, zitiert in: Hoff Sommers, Ch., Who Stole Feminism, New York 1994, S. 256.
26 Platform for Action 192 (190). Kursivsetzung nach O‘Leary.
27 Applied Social Research Program, Queens College, CUNY, zitiert in: Ms., Nov-Dez. 1995, S. 40.
28 Chodorow, N., The Reproduction of Mothering, Berkeley 1978 (dt.: Das Erbe der Mütter, München 1985.)
29 Pogrebin, C., Family Politics, New York, 1983, S. 22-24."
(Quelle: https://www.dijg.de/gender-mainstreaming/o-leary-agenda-begriff-pekinger-aktionsplattform/)